1988 wurde unser 1. Kind – Moritz nach einer schönen Schwangerschaft und problemlosen Geburt geboren. Nach 2 Tagen Krankenhaus gingen wir heim. Der Eintrag im Mutterpass hieß: „Mukoviszidose-Test positiv. Bitte kontrollieren“.
„Muko….was?“ Dachten wir. Nie gehört. Die Ärztin beruhigte uns auch gleich: „Das kommt oft vor und heißt noch gar nichts“. Also vergaßen wir das erst mal wieder – schließlich hatten wir wichtigeres im Kopf – unser Baby: Moritz.
Eine Hebamme kam jeden Tag vorbei, um nach Moritz zu schauen. Sie wiederholte den Mekonium-Test, der ja positiv war. Und auch der neue war wieder positiv. Uns fiel auf, dass jede Windel voll war, grün-schleimig. Das kam uns schon seltsam vor. Moritz trank sehr viel, doch nach ein paar Tagen nahm er ab, so dass ich zufütterte.
Dann ging’s zur Vorsorgeuntersuchung, und die Kinderärztin überwies uns an die Kinderklinik zum Schweißtest. Inzwischen dachten wir selbst, dass irgend etwas mit Moritz nicht in Ordnung wäre, doch nirgends bekamen wir Infos über Mukoviszidose (CF) her – damals hatten wir natürlich auch kein Internet zur Verfügung.
Die Kinderärztin wollte auch nicht so recht raus mit der Sprache. Schließlich las sie mir aus einem, schon damals völlig veralteten, Buch über Mukoviszidose vor. Ein absoluter Schock. Ich hatte den Eindruck, sie wusste selbst nicht richtig Bescheid, was Mukoviszidose so richtig ist. Da war noch die Rede von „Sterben im frühen Kindesalter“ usw.
Ich stillte Moritz alle 2 Stunden, und er trank riesige Mengen. Das war schon ziemlich anstrengend. Auch nachts brauchte er seine Milch. Bis auf die vollen, merkwürdigen Windeln, die völlig anders rochen, als „normale“ Windeln von gestillten Kindern sowie den enormen Hunger, fiel uns jedoch nicht auf an ihm. Dann der 1. Schweißtest. Ein kompetenter Kinderarzt, der auch Erfahrung mit CF hat, untersuchte ihn und meinte dann: „Der hat sicher keine Muko…“ Der Test war nicht eindeutig – irgendwas zwischen 50 und 60 mmol/l. Also wurde er wiederholt. Wieder das gleiche Ergebnis. Das Spiel ging dann noch 2 x weiter, bis wir dann kurz vor Weihnachten – so zu sagen als Weihnachtsgeschenk, telefonisch erfuhren: Der Befund ist pathologisch.
Die ganze Zeit seit Moritz‘ Geburt war für mich wie mit einem schwarzen Schleier zugedeckt – mir war klar – irgendwas ist absolut nicht in Ordnung – doch eben nichts so richtig Konkretes, Fassbares. Oft dachte ich, dass ist nur ein Traum, und alles stimmt gar nicht. Aber tief im Innern wusste ich von Anfang an, dass dem leider nicht so war. Da uns jedoch genaue Infos fehlten, hatten wir nichts, wo wir konkret ansetzen konnten.
3 Monate waren seit der Geburt von Moritz vergangen, noch immer bekamen wir keine näheren Infos über Mukoviszidose her, sämtliche Bücher über Krankheiten waren „mukoviszidosefrei“.
Dann hatten wir noch ein Gespräch in der Kinderklinik, wo wir jedoch auch nicht allzu viel erfuhren. Nur dass die Lebenserwartung eingeschränkt ist. Für damalige Verhältnisse verharmloste der Arzt jedoch ziemlich, denn er meinte, dass Moritz gut 40 Jahre alt werden könne. Was damals ja nicht der Realität entsprach.
Kurze Zeit später lasen wir dann ein Inserat der „Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Mukoviszidose“ – so hieß die Mukoviszidose e. V. damals noch. Wir wurden gleich Mitglied, und dann endlich bekamen wir die ersehnten Infos über Mukoviszidose.
So nach und nach wurde uns klar, wie tief dieser Einschnitt in unser Leben war. Alles, was wir über Muko kriegen konnten, verschlangen wir und endlich konnten wir verstehen und auch schauen, wie wir das Beste daraus machen konnten. Kurz darauf fanden wir eine sehr kompetente Physiotherapeutin, die uns zeigte, was wir mit Moritz machen konnten. Damals war er etwa ½ Jahr, und wir hüpften mit ihm auf dem Pezziball und klopften ihn ab – alles rein vorbeugend, denn Schleim hatte er nicht.
Dann kamen wir das erste Mal in die Ambulanz nach Frankfurt und fühlten uns gleich gut aufgehoben. Mit acht Monaten bekam er dann seinen 1. Infekt und auch gleich Antibiotika. Ab und zu hustete er, jedoch auch nicht mehr als andere Kinder.
Am Anfang war die Mukoviszidose schon eine große Belastung – vor allem, da wir ja nicht wussten, wie alles weitergeht. Das Schlimmste für mich war eigentlich die Ungewissheit der ersten Zeit – nicht wissen, was eigentlich los ist, nur, dass eben etwas absolut nicht in Ordnung ist – das empfand ich als sehr belastend. Später, als wir dann praktisch „unseren Gegner“ kannten, kam ich besser damit klar.
Die Forschung war noch lange nicht so weit wie heute, noch nicht mal das Muko-Gen war entdeckt. Sämtliche Zukunftsplanungen stellten wir zuerst mal zurück. Doch die Zeit verging, und es gab keine dramatische Verschlechterung. Irgendwann konnten wir Muko als zu unserem Leben gehörend akzeptieren. Es spielt bei Weitem nicht die Hauptrolle in unserem Leben. Und es gibt wahrscheinlich niemand, der Moritz in 1. Linie als „Kranken“ ansieht. Dazu ist er viel zu sehr eigene Persönlichkeit. Doch natürlich ist Muko immer da, aber nicht beherrschend.
In unserer Partnerschaft änderte die Diagnose Muko nichts – das liegt sicher daran, dass mein Mann sich genau so verantwortlich fühlt wie ich, was Medikamente und Therapie angeht. Und ich denke, dass das auch sehr wichtig ist. Schon oft habe ich gehört, dass die ganze Arbeit und auch die ganze Verantwortung nur bei den Müttern liegt, die dann selbst irgendwann krank werden. Und natürlich denke ich auch, dass ein Teil der Verantwortung frühzeitig an unsere Kinder abgegeben werden sollte. Wie sonst sollen sie später lernen, verantwortlich mit ihrer Gesundheit umzugehen, Therapie zu machen und Medikamente zu nehmen?
Was die Zukunft anbelangt muss ich zwar zugeben, dass ich vermutlich nicht so unbelastet nach vorne schauen, wie bei unserem 2. Kind, das kein CF hat, jedoch die Neugier überwiegt, wie Moritz sich sonst so entwickelt. Er hat einige Hobbys, z. B. Schlagzeugspielen und Computer und auch sonst noch so einiges vor in seinem Leben.
Ab und zu stellen sich natürlich Fragen, wie z. B. „wie ist es, wenn es ihm wesentlich schlechter geht“. Doch eigentlich versuchen wir eher, die Zeit jetzt intensiv zu leben und auch zu genießen und sich diesen Problemen dann zu gegebener Zeit zu stellen. Trotzdem verdrängen wir nicht. Gerade in letzter Zeit beschäftige ich mich wieder intensiv mit Muko – auch im Hinblick darauf, für die verschiedenste Aspekte von CF in Zukunft gewappnet zu sein.
Großen Zorn bekomme ich bei Diskussionen, ob ein Leben mit Mukoviszidose lebenswert ist. Ich weiß zwar, dass es einige (sehr wenige) CF’ler gibt, die da auch daran zweifeln, doch die überwiegende Mehrzahl lebt doch trotz Mukoviszidose gern, viele sicher auch sehr viel bewusster. Es ist doch viel eher ein Problem der Angehörigen: „Kann ich damit umgehen, kann ich damit fertig werden?“ Mit Pränataldiagnostik und einer anschließenden Abtreibung stellt sich diese Frage nicht mehr. Diese Chance wird also von vornherein ausgeschlossen. Und wenn ich mir da Moritz anschaue, dann bin ich einfach nur sehr dankbar, dass es ihn gibt.
© by Christine & Uli / Juli 2002