Wenn die Hilfe nach Hause kommt

Die mobile Physiotherapie ist für Mukoviszidose-Patienten und deren Eltern ein Segen. Deshalb sammelt die MITTELBADISCHE PRESSE mit ihrer Benefizaktion „Leser helfen“ Spenden, um dieses zentrale Projekt der Selbsthilfegruppe zu sichern.


Physiotherapie zu Hause: Hier übt die speziell ausgebildete Therapeutin Verena Zeis mit Lea (6), damit der zähe Schleim von den Atemwegen der kleinen Patientin befreit werden kann. Ermöglicht wird dies durch die mobile Physiotherapie der Selbsthilfegruppe. Fotos: Christoph Breithaupt

VON CHRISTIANE AGÜERA OLIVER

Ortenau. Die mobile Physiotherapie bedeutet für Menschen mit Mukoviszidose und deren Angehörigen eine große Erleichterung.

Mehr als drei Jahrzehnte behandelt und begleitet die Physiotherapeutin Verena Zeis aus Seelbach Mukoviszidose-Patienten durchs Säuglingsalter, Kindergarten, Schule, Ausbildung, Berufsleben, Schwangerschaft und Transplantation. Seit Mai 2004 ist sie für die Mukoviszidose Regionalgruppe Ortenau in der Region mobil im Einsatz. Die Spenden aus der Benefizaktion „Leser helfen“ sollen in erster Linie helfen, die Existenz der mobilen Physiotherapie zu sichern.

Die spezielle physiotherapeutische Therapie erfordert sehr viel Zeit und Ruhe für eine effektive Ausführung. Die Physiotherapeutin mit Zusatzqualifikation Atemtherapie bei chronischen Lungenerkrankungen und Mukoviszidose (CF), besucht gerne die Familien. Inzwischen sind längst Freundschaften und vertraute Bindungen entstanden.

Neun Patienten besucht Verena Zeis an zweieinhalb Tagen pro Woche, je nach Gesundheitszustand ein- oder zweimal. „Eine allgemein gültige Formel für die Ausführung der Physiotherapie bei Mukoviszidose gibt es nicht und muss bei jedem Patienten angepasst werden“, erklärt Zeis.

Rund 185 Kilometer legt sie pro Woche im Einzugsgebiet zwischen Seelbach und Lahr, ins Kinzigtal bis nach Wolfach zurück. Angestellt ist Verena Zeis bei der Physiotherapie-Praxis Müllerleile in Lahr. Auch dort werden Mukoviszidose-Patienten von ihr behandelt. Kurze Zeit war eine weitere Physiotherapeutin mobil im Einsatz, die sich nun in Elternzeit befindet. Ab diesem Monat ist eine neue Physiotherapeutin mobil unterwegs.

„Die konsequente Therapie ist eine Therapiesäule zur effektiven Behandlung der Mukoviszidose. Es erfordert viel Disziplin von den Betroffenen und Angehörigen“, unterstreicht die Physiotherapeutin.

Mithilfe der Physiotherapie lernen die Patienten von klein auf, wie zäher Schleim aus den Atemwegen befreit werden kann. Durch eine „Autogene Drainage“ könne durch die ständige Supervision die Selbstreinigungstechnik ohne fremde Hilfe ausgeführt werden. Sie gilt als Grundlage für weitere Atemtechniken. Kleinkinder werden schon spielerisch durch diverse Blasspiele an das spätere Erlernen der „Autogenen Drainage“ herangeführt.

„Durch die Verstopfung der Atemwege mit zähflüssigem Schleim wird die Versorgung des Körpers mit Sauerstoff verhindert. Allein durch Husten ist dieser Schleim nicht zu entfernen. Der Selbstreinigungsmechanismus der Lunge greift hier nicht. Viren, Bakterien und Pilze in der Lunge führen zu Entzündungen, was zur Verminderung der Lungenfunktion und zur Einschränkung der Lebensqualität führt“, fasst Verena Zeis zusammen.

Die kleine Lea (6) aus Seelbach beim Inhalieren, einer ihrer täglichen Übungen. Die Physiotherapeutin Verena Zeis besucht jede Woche zahlreiche Mukoviszidose-Patienten in der Ortenau. Dafür wird dringend ein neues Fahrzeug benötigt.

Brustkorb mobilisieren

Auch bei der Inhalation käme die Technik der „Autogenen Drainage“ zum Einsatz, „um das Medikament möglichst wirksam in die Bronchien zu befördern“, beschreibt sie. Weiterhin wird durch spezielle Übungen, wie beispielsweise die Drehdehnlagerung, der Brustkorb mobilisiert.

„Dank der Forschung, neuer medikamentöser Therapien, neuer Antibiotika, liegt die durchschnittliche Lebenserwartung eines Neugeborenen mit Mukoviszidose heute bei 53 Jahren und somit deutlich höher als vor drei Jahrzehnten zu Beginn meiner Berufslaufbahn“, berichtet Verena Zeis.

Seit 2016 gibt es ein Neugeborenen-Screening auf Mukoviszidose. Werde die Krankheit früh erkannt, könne sofort mit der Physiotherapie begonnen werden. „Dies verbessert nachweislich die körperliche Entwicklung der betroffenen Kinder, was sich positiv auf den gesamten Krankheitsverlauf auswirkt“, sagt sie.

Die mobile Physiotherapie ist für Patienten und Angehörige gleichermaßen eine Erleichterung. „Die Fahrwege in die Praxen bedeuten oft einen großen zeitlichen Aufwand“, erklärt Verena Zeis.

Spenden wären hilfreich

Während die Behandlung und eine Hausbesuchspauschale von der Krankenkasse übernommen werden, kommt die Mukoviszidose Regionalgruppe Ortenau für die Vergütung der Fahrzeiten und Fahrzeugkosten auf. Diese liegen laut der Selbsthilfegruppe bei rund 50000 Euro im Jahr. Außerdem ist das Auto in die Jahre gekommen, weshalb dringend ein neues Fahrzeug angeschafft werden soll, damit die beiden Physiotherapeutinnen mobil bleiben können. Hier stehen Anschaffungskosten von etwa 20 000 Euro im Raum. Auch die Zusatzqualifikation für die spezifische Atemtherapie wird von der Selbsthilfegruppe finanziert. „Leider ist es gerade im ländlichen Raum schwierig, jemanden zu finden. Deshalb ist es gerade hier wichtig, dass sich immer mehr Physiotherapeuten der speziellen Fortbildung für diese krankheitsspezifische Behandlung widmen“, heißt es seitens der Selbsthilfegruppe.

Der Arbeitskreis Physiotherapie des Mukoviszidose e.V. führt für Physiotherapeuten jährlich mehrere Wochenend-Fortbildungsseminare durch, auf denen Theorie und Praxis der speziellen Techniken vermittelt werden. Die Fortbildungstermine sind auf der Homepage „Muko.info“ zu entnehmen.

Ein Video zu diesem Thema finden Sie mit dem Code 1Kx2 unter: http://www.bo.de/mediathek

Erschienen in der Mittelbadischen Presse am 13.11.2020