„Die Familie ist ganz wichtig“

Für Mukoviszidose-Patienten ist die Nachsorgeklinik in Tannheim eine wichtige Anlaufstelle.
Die Einrichtung kann die Nachfrage aber nicht befriedigen, wie die beiden Geschäftsführer berichten.


Die Nachsorgeklinik in Tannheim bietet Rehamaßnahmen für junge Mukoviszidose-Patienten und ihre Familien an. Fotos: Nachsorgeklinik Tannheim

VON CHRISTIANE AGÜERA OLIVER

Tannheim. Die Nachsorgeklinik Tannheim ist eine Rehabilitationsklinik für Familien mit krebs-, herz- und mukoviszidosekranken Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Sie bietet eine interdisziplinäre Behandlung mit multiprofessionellem Ansatz und ist die größte Mukoviszidose-Reha-Klinik in Deutschland. Durch die Aktion „Leser helfen“, die in diesem Jahr die Mukoviszidose-Regionalgruppe Ortenau unterstützt, werden unter anderem auch Gelder für Corona-Tests gesammelt. Die Geschäftsführer Thomas Müller und Roland Wehrle informieren im Gespräch mit der MITTELBADISCHEN PRESSE über die Rehaklinik.

Wie viele Mukoviszidose-Kranke werden jährlich bei Ihnen behandelt?

THOMAS MÜLLER: Etwa 270 Mukoviszidose-Patienten werden pro Jahr bei uns behandelt, das macht 26 Prozent unserer Plätze aus. Angeboten werden familienorientierte Reha für Primärpatienten zwischen null und 16 Jahren, „Junge Reha“ für jugendliche Einzelpersonen zwischen 16 und 21 Jahren und für junge Erwachsene zwischen 22 und 26 Jahren sowie neu, die „Reha 27 Plus“ für Patienten ab 27 Jahren.

ROLAND WEHRLE: Für Patienten mit dem Pseudomonas-positiv-Keim (Anm. der Red.: bakterieller Erreger) bieten wir jährlich fünf Rehabilitationsmaßnahmen für jeweils vier Wochen mit 20 Mukoviszidosepatienten. Sieben Rehabilitationsmaßnahmen gibt es für 25 Negativ-Patienten pro Jahr.

Roland Wehrle ist einer der Geschäftsführer der Nachsorgeklinik in Tannheim.

Sind die Reha-Plätze für Mukoviszidose-Patienten ausreichend?

MÜLLER: Derzeit vergeben wir Plätze für das Frühjahr 2022. Das ist eine Situation, die es zu verbessern gilt. Die familienorientierte Behandlung bedarf einer gewissen Infrastruktur. Diese können wir hier bieten.

WEHRLE: Auch wenn die Mukoviszidose-Krankheit eine kleine Gruppe in Deutschland betrifft, ergeben sich immer mehr neue Patienten, weil sich ihr Lebensalter glücklicherweise verdoppelt hat. Das ist eine der schönsten Entwicklungen in den vergangenen 30 Jahren. Als wir 1990 Tannheim planten, lag die Lebenserwartung bei etwa 20 Jahren, jetzt sind wir bei weit über 40 Jahren. Mit ein Grund dafür ist, dass Akutkliniken und eine erfolgreiche Reha ineinander übergreifen und eine längere Lebenschance ermöglichen.

Wie viele Familien und Patienten können sich gleichzeitig bei Ihnen aufhalten?

MÜLLER: Das sind 40 bis 45 Familien und etwa 20 bis 25 Mukoviszidose-Patienten.

Warum ist ein Reha-Aufenthalt wichtig?

WEHRLE: Um Familien nach der Erstdiagnose mit der Krankheit und deren Folgen vertraut zu machen. Dann gibt es beispielsweise große Probleme bei Kindern, wenn sie in die Pubertät kommen. Das ist bei uns eine ganz besondere Gruppe. Die Jugendlichen lernen, Selbstverantwortung für sich und den eigenen Körper zu übernehmen und das nicht für die Eltern oder Ärzte zu machen. Sie spüren, dass die Lunge besser wird.

MÜLLER: Die tägliche Therapie ist ein hoher Aufwand. Das erfordert eine gewisse Motivation, die im Alltag nachlässt. Die Motivation wird hier gefördert.

Die Familien der Mukoviszidose-Kranken sind während des gesamten Aufenthalts dabei. Wie wichtig ist das für den Patienten?

MÜLLER: Ziel ist die physische und psychische Stabilisierung des mukoviszidosekranken Kindes und seiner Familie, die sich hier neu findet und wieder als Familie erleben kann. Um die Rehabilitationsziele zu erreichen, arbeitet ein multiprofessionelles Team mit großer Erfahrung in der Betreuung von CF-Patienten und deren Familien eng zusammen.

WEHRLE: Die Familie ist ganz wichtig. Unser interdisziplinäres Behandlungskonzept umfasst die gesamte Familie. Das kann man ambulant nicht anbieten. Die Familie kommt in einen „Schonraum“. Wir erleben die Familie umfänglich.

Thomas Müller leitet zusammen mit Roland Wehrle die Nachsorgeklinik Tannheim.

Kann sich die Familie bei Ihnen auch „erholen“?

WEHRLE: Auf jeden Fall. Wichtig ist eine angenehme Atmosphäre im Haus, die Eingebundenheit in die Landschaft, mit Formen, Licht und Farben. Eine Oase der Ruhe und Abgeschiedenheit, um sich zu erholen. Dies alles konnte durch lange Verhandlungen mit dem Regierungspräsidium erreicht werden. Doch unsere Existenzgrundlage soll uns nun entzogen werden, denn in 2,5 Kilometern Entfernung ist ein Standortübungsplatz der Bundeswehr geplant. Dagegen benötigen wir jede Stimme bei einer Online-Petition.

Sind solche Reha-Angebote für die Familien freiwillig?

WEHRLE: Eine gezwungene Reha würde niemand etwas bringen. Die Familien kommen immer mit der größten Motivation.

Corona-Tests sind notwendig. Wie hoch belaufen sich die Kosten für diese Tests in Ihrer Klinik?

MÜLLER: Familien können erst mit einem negativen Test anreisen. Die Kosten für alle Hygiene- und Schutzmaßnahmen liegen bei etwa 400 bis 500 Euro pro Familie. Bei Anreise erfolgt ein Schnelltest, der nach einer Woche wiederholt wird. Sind Auffälligkeiten erkennbar, wird ein weiterer PCR-Test nachgezogen. Seit März sind das rund 150 000 Euro. Geld, das wir bislang mühsam aufgebracht haben. Und ein Thema, das uns länger begleiten wird.

WEHRLE: Für sonstige Hygienemittel, wie Masken und Desinfektionsmitteln, ist der finanzielle Aufwand zudem sehr hoch. Wir haben ein klares Hygienekonzept. Alle sind mit großem Aufwand und bei enormen Einschränkungen sehr vorsichtig. Und die Familien sind dankbar, auf einer Insel zu sein. Hier ist die Gefahr geringer als im öffentlichen Leben.

Wie wichtig schätzen Sie die Arbeit der Selbsthilfegruppe ein?

WEHRLE: Ein Segen und ein ganz wichtiges Element, weil sie die Patienten unterstützen. Politisch können sie bis zur Bundesebene viel bewegen und bieten den Familien viel Hilfestellung.

MÜLLER: Dem ist nichts hinzuzufügen. Eine wunderbare Geschichte.

Erschienen in der Mittelbadischen Presse am 18.12.2020